Geschichte

100 Jahre Leidenschaft für Kunst

Von Monet bis Wolfang Tillmans: Die Geschichte der modernen Kunst ist auch ein bisschen die Geschichte der Freunde der Staatsgalerie.

Es war die Leidenschaft für Malerei, die im Jahr 1906 rund 140 Stuttgarter Bürger zusammenbrachte. Sie wollten die Königliche Gemäldegalerie weiter wachsen lassen, sich persönlich und großzügig dafür einsetzen. Unter der Schirmherrschaft König Wilhelms I gründeten sie den Stuttgarter Galerieverein. Der Verein sollte Ausstellungen und Vorträge veranstalten und mehr Interesse für die Sammlung wecken. Ein erstes Kunstwerk, das er erwarb, war Claude Monets »Felder im Frühling« (1887).

Doch nach gut fünfzehn Jahren waren erste Rückschläge zu spüren. Wirtschaftskrise, Hyperinflation und der Niedergang der Weimarer Republik berührten auch den Galerieverein. Wegen der totalen Geldentwertung 1923 war es kaum noch möglich, Werke für die Sammlung zu kaufen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten, Zensur und Gleichschaltung schränkten die Arbeit weiter ein, Ausstellungen konnten nicht mehr frei kuratiert werden. 1936 gab sich der Verein – wohl auch um Beschlagnahmungen von Kunstwerken vorzubeugen – einen neuen Namen: »Verein der Freunde der Württembergischen Staatsgalerie«.

Historische Aufnahme der Staatsgalerie
Neuanfang nach dem Krieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg versammelten sich die Mitglieder am 20. November 1948, um sich – wieder unter dem Namen »Stuttgarter Galerieverein« – neu zu konstituieren. Ein hoffnungsvoller Neuanfang, trotz der schwierigen Bedingungen. Vereinsvorsitzender war Gerhard Freiherr von Preuschen (1895–1980): gemeinsam mit Direktor Heinrich Theodor Musper (1895–1976) gelang es ihm, den Verein und die Galerie in Aufbruchstimmung zu versetzen. Musper und von Preuschen organisierten zahlreiche Ausstellungen. 1951 holten die Freunde der Staatsgalerie mit der Schau »Gemälde aus dem Besitz der Pinakothek München« Werke von exzellenter Qualität nach Stuttgart. Und bereits 1954 finanzierte der Verein eine Miró-Ausstellung im Haus, bei der Willi Baumeister die Eröffnungsrede hielt.

Der Neubeginn förderte auch den Wunsch, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Ab Ende der 1940er-Jahre kauften die Freunde Werke von Malern, die unter den Nationalsozialisten als »entartet« verunglimpft worden waren. Dazu zählte zum Beispiel George Grosz’ visionäres Gemälde »Widmung an Oskar Panizza« (1917/1918). Große Kunst, die nun in Stuttgart ein Zuhause finden sollte. Am 8. Oktober 1958 feierten die Freunde die Wiedereröffnung der Staatsgalerie.

Das Wirtschaftswunder, das das Land erfasst hatte, bewirkte 1959 auch das »Stuttgarter Museumswunder«. Vorsitzender der Freunde war zu der Zeit Josef Eberle (1901–1986). Dank seines Engagements konnte die Staatsgalerie die Sammlung Moltzau ankaufen, mit Spitzenwerken der französischen Malerei von Renoir über Matisse bis Soutine. Weitere wichtige Werke kamen mit Mitteln des Vereins Mitte der 1960er-Jahre hinzu, zum Beispiel Albrecht Dürers Kupferstich »Die Melancholie« (»Melencolia I«, 1514).

So gewann die Sammlung der Staatsgalerie mehr und mehr an Renommee; die Verdienste der Freunde strahlten weit über Stuttgart hinaus. 1974 stellten sie unter dem Vorsitzenden Hans Bausch (1921–1991) erstmals ihre Erwerbungen aus. Um die Sammlung lebendig zu halten, kauften sie vor allem zeitgenössische Kunst. Ende der 1970er-Jahre erwarben sie dank einer Spende der Landesgirokasse Oskar Schlemmers berühmte »Figurinen zum Triadischen Ballett« (1920–1922).

Direktor Peter Beye (*1932) gelang es, die Staatsgalerie international unter den ersten Museumsadressen zu positionieren. Die wachsende Bedeutung der Sammlung wurde mit einem neuen Gebäude gewürdigt: 1984 eröffnete die Neue Staatsgalerie, ein postmoderner Museumsbau des Architekten James Stirling. Um das Haus noch stärker zu unterstützen, gründeten die Freunde 1986 den Förderkreis.

Wie lockt man junges Publikum?

Die Freunde hatten viel erreicht, doch es galt auch, das Interesse an Kunst wachzuhalten, junge Leute ins Museum zu locken, mehr Mitglieder zu gewinnen. Und so investierten sie weiter in ihr Ziel, die Sammlung wertvoll, lebendig und modern zu erhalten. 1996 erwarb der Verein das »Blaue Schwammrelief (RE 6)« (1961), eines der bedeutendsten Werke von Yves Klein. Unterstützt von dem Vorsitzenden Walther Zügel (*1933), initiierte Direktor Christian von Holst (*1941) einen Anbau für die Graphische Sammlung der Staatsgalerie. Im Jahr 2004 wurde auf Initiative und mit finanzieller Unterstützung des Vereins der Kunstklub für junge Kunstinteressierte ins Leben gerufen.

Zu ihrem 100. Vereinsgeburtstag im Jahr 2006 kauften die Freunde der Staatsgalerie Jeff Koons’ Komposition »Hulk« (2005). Für die Sanierung der Alten Staatsgalerie setzten sie sich nicht nur ein, sondern stellten auch eine Million Euro zur Verfügung. Die Investition brachte Kunst und Menschen noch ein Stück näher zueinander – in neuen Räumen, dem freundlichen Foyer, den großzügigen Flächen für Kunstpräsentationen und dem in alter Schönheit erstrahlenden Säulensaal. Ende 2008 konnte Direktor Sean Rainbird (*1959) den Ausstellungsbetrieb wieder aufnehmen.

Im Herbst 2009 stellte die Rudi Häussler Jugend Stiftung der Staatsgalerie ein Gebäude mit modernen Workshop- und Seminarräumen zu Verfügung. Rudi Häussler, Mitglied im Förderkreis, hatte das Haus von der Stadt Stuttgart gekauft und saniert. Vermittelt hatte dies Jürgen Hubbert (* 1939), damals Vorstandsvorsitzender der Freunde. 2013 erwarb das Land Baden-Württemberg das Haus für die Staatsgalerie zurück. In dem sogenannten Atelierbau gleich gegenüber der Staatsgalerie können sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene kreativ betätigen, ihrer Phantasie freien Lauf lassen oder sich kunsthistorisch weiterbilden.

Die Bedeutung der Fotografie in der zeitgenössischen Kunst wuchs, und die Freunde der Staatsgalerie nahmen Anteil an dieser Entwicklung. 2011 kaufen sie vier Fotoarbeiten des Künstlers Wolfgang Tillmans für die Sammlung.

Weil junge Menschen andere Fragen stellen als ältere, weil sie ein anderes Tempo und andere Interessen haben, gründete der Verein 2012 die Jungen Freunde Staatsgalerie. Der Plan ging auf: Bereits ein Jahr später strömten 1.400 Besucher zur ersten »Jungen Nacht« in die Ausstellungsräume.

Die Zukunft kann kommen

Ihre Verbundenheit mit der Staatsgalerie treibt die Freunde bis heute an. Aktiv beteiligten sie sich am Spendenaufruf für Oskar Schlemmers Wandgemälde »Familie« und unterstützten den Kauf im Jahr 2015. Auch zum Erwerb des »Piratenüberfall« (1740/45) des Neapolitaners Filippo Falciatore trugen sie bei. Beim Jubiläumsfest »175 Jahre Staatsgalerie Stuttgart« im Jahr 2018 konnte Markus Benz (*1961) das Gemälde an Direktorin Christiane Lange (*1964) übergeben.

Um den Wert und die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst zu betonen, braucht es aber mehr als das Kunstwerk. Ziel der Freunde ist es, möglichst vielen Menschen den Zugang zu erleichtern, das Verständnis zu vertiefen, Austausch anzuregen. Um hier noch mehr zu bewirken, finanzierten sie 2013 ein Kopfhörersystem für die Staatsgalerie und einen Audioguide in Gebärdensprache. Im Frühjahr 2019 starteten sie ein Projekt zur Provenienzforschung, das die vereinseigene Sammlung untersuchen soll. Im selben Jahr ging die neue Webseite online, die eines ganz klar macht: Die Liebe der Freunde zur Kunst ist nach mehr als hundert Jahren ungebrochen. Sie ebnen den Weg für immer mehr Menschen, um gemeinsam mehr zu sehen.

Dem Text zugrunde liegt die Chronik der Freunde der Staatsgalerie, die Prof. Dr. Karin von Maur 2006 anlässlich des 100-jährigen Vereinsbestehens aufgearbeitet hat. Sie ist unter dem Titel »Kunst vereint. 100 Jahre Stuttgarter Galerieverein« erschienen.